Seit Oktober 2012 hat vivo begonnen im Gefängnis von Gulu zu arbeiten. Die ca. 700 männlichen Insassen und ca. 300 Frauen sind oftmals auch ehemalige Entführte der LRA, haben zahlreiche Kriegserlebnisse erfahren und sind ebenso von der Posttraumatischen Belastungsstörung betroffen. Die psychische Situation der Insassen ist zusätzlich stark abhängig von der langen Zeit, die sie vor einer Urteilssprechung im Gefängnis verbringen müssen (z.B. hat Uganda nur wenige Richter, die für Kapitalverbrechen zuständig sind) und von weit verbreiteter Armut, da sie auf die Versorgung durch ihre Familienmitglieder für Nahrung und Anwaltskosten angewiesen sind.
Oftmals berichten unsere Klienten im Gefängnis, dass sie vor ihrer Inhaftierung mit den traumatischen Erinnerungen mehr oder weniger gut leben konnten, aber seit sie im Gefängnis sind, erleben sie durch die Haftbedingungen täglich neuen Stress – erreichen die schmerzlichen Erinnerungen ein klinisch signifikantes Niveau, trauma-bezogene Gedanken, Gefühle und Alpträume treten wieder häufiger auf. Deshalb bieten wir im Gefängnis diagnostische Interviews und die Narrative Expositionstherapie an, aber auch allgemeine Beratung für tagtäglichen Stress und Probleme, z.B. hat ein Klient berichtet wie schwer es ihm fällt mit der Hilflosigkeit zu leben, dass seine verwaisten jüngeren Geschwister Zuhause jetzt finanziell mit minderjährigen Haushaltsvorstand alleine zurecht kommen müssen und er keine Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit ihnen hat, um zu erfahren wie es ihnen ergeht oder sie zu unterstützen.
vivos Aufgabe ist es dabei nicht, sich der rechtlichen Frage zu stellen, ob jemand schuldig im Sinne der Anklage ist, sondern die Insassen wie Klienten zu behandeln und ihre psychischen Probleme zu bearbeiten.
Häufig berichten die Insassen davon, wie sie zunächst während der Entführung von den Rebellen gezwungen wurden, zu Tätern zu werden. Die Praktiken der Rebellen (beispielsweise entführte Kinder zu zwingen, Familienmitglieder zu töten) führen damit gezielt zur kompletten Erschütterung der ursprünglichen Identität und können zu einer Identitätsentwicklung als Täter führen. Den Kindern wird suggeriert, dass sie nun nie wieder in ihre Gemeinschaft zurückkehren können, und die Rebellen ihre neue Familie sind. Durch diese Manipulation und die Erschütterung des ursprünglichen Wertesystems erleben sich ehemals friedvolle Menschen als Täter, und können – als Überlebensstrategie – beginnen, freiwillig Gewalt auszuüben und sogar Freude daran zu empfinden. Solche ehemaligen Täter haben oft Probleme, in der friedlichen Nachkriegsgesellschaft ihre erlernte gewaltvolle Antwort auf Aggressions- und Rachegefühle zu verändern.
Für diese Klienten setzten die vivo Therapeuten jetzt auch die von vivo neu entwickelte FORNET (NET for Forensic Offender Rehabilitation) ein. Wie auch in der NET werden hier traumatische Erlebnisse besprochen und bearbeitet, aber zusätzlich werden auch Erlebnisse mit Täterschaft besprochen und am Ende werden gewaltfreie Methoden und Möglichkeiten des Umgangs mit Wut, Aggression und Rachegefühlen im zivilen Leben diskutiert. Dies soll dem Klienten ermöglichen einen neuen Blickwinkel auf potentiell konfliktgeladene Situationen im täglichen Umgang mit Mitmenschen zu geben und ihm die Möglichkeit eröffnen, sich für gewaltfreie Alternativen bewusst entscheiden zu können.