Im Februar 2005 führte vivo eine Schulung mit einer Gruppe aus 32 psychosozialen Beratern in Kabul durch. Themen des Trainings waren Traumatischer Stress, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und deren Behandlung mit Narrativer Expositionstherapie. Im Oktober kam ein Team von vivo nach Kabul zurück und führte zusammen mit den ausgebildeten Beratern eine epidemiologische Studie in Schulen des Dachti Barchi Gebietes der afghanischen Hauptstadt durch.
Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und CARITAS international verwirklicht. Insgesamt nahmen 287 Schulkinder (122 Mädchen) im Alter von 7 bis 14 Jahren an der Untersuchung teil. Der Fokus dieser diagnostischen Untersuchungen lag auf den traumatischen Lebensereignissen der Kinder, die sie aufgrund von Krieg und Gewalt in der Nachkriegsgesellschaft und im Zusammenhang mit familiärer Gewalt erlebt hatten. Weitere Themenschwerpunkte des Gesprächs waren Kinderarbeit, Substanzmissbrauch bei Kindern und Eltern, physisches Wohlbefinden und psychiatrische Probleme bei den Kindern.
Die Ergebnisse der Untersuchung weisen auf ein eher hohes Ausmaß von belastenden und traumatischen Erfahrungen bei Afghanischen Schulkinder hin, wobei die familiäre Gewalt einen Hauptstressor darstellt. Insgesamt scheinen Jungen mehr betroffen zu sein als Mädchen: Im Vergleich zu Mädchen berichteten Jungen eine höhere Anzahl an Kriegserlebnissen, Vorfällen familiärer Gewalt und traumatischen Lebensereignissen sowie eine größeres Ausmaß an somatischen Beschwerden.
Diese besonders schlechten Lebensbedingungen spiegelten sich bei den Jungen auch in einer extrem hohen Prävalenz von Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) wieder: 26% der Jungen erfüllten eine PTBS-Diagnose, im Vergleich zu 14% bei den Mädchen. Weiterhin waren die Raten an Kinderarbeit sehr hoch: Die Hälfte der Jungen und beinahe ein Drittel der interviewten Mädchen mussten im Durchschnitt sieben Stunden pro Tag arbeiten und Teppiche weben. Die Kinderarbeit zeigte dabei einen bedeutsamen Zusammenhang mit der Armut der Familie, schlechter physischer Gesundheit, einem erhöhten Ausmaß an familiärer Gewalt und mit der PTBS-Diagnose [Link zum Fachartikel] .
Zusammenfassend weisen unsere Ergebnisse auf einen dringlichen Behandlungsbedarf bei Kindern hin, die von Krieg, familiärer Gewalt und belastenden Lebensbedingungen, wie Kinderarbeit, betroffen sind. Interventionen sollten jedoch umfangreich sein und nicht nur Psychotherapie für Kindern beinhalten, die unter einer PTBS leiden, sondern auch unmittelbar andere Themen, wie Kinderarbeit, familiäre Gewalt, schlechte Schuleinrichtungen und die Armut der Eltern, in Angriff nehmen.
Eine erste kurze Untersuchung befasste sich mit der psychischen Gesundheit der Lehrer und zeigte, dass diese spezifische Population von Erwachsenen sogar noch mehr durch traumatische Erlebnisse in den letzten Jahrzehnten des Konfliktes im Land belastet ist. Die Lehrer wiesen ein hohes Ausmaß an traumatischen Erlebnisse auf und berichteten zahlreiche Gesundheitsprobleme sowie ausgeprägtes psychisches Leiden. Geplante Interventionen müssen daher auch Unterstützung für Lehrer beinhalten, da diese Schlüsselpersonen im unmittelbaren sozialen Umfeld der Kinder darstellen.
In abschließenden Treffen präsentierten vivo, GTZ und CARITAS die Ergebnisse der Untersuchung dem lokalen Bildungsministerium in Kabul sowie ausgewählten Gästen der lokalen und internationalen Gemeinschaft und von humanitären Unterstützungsprogrammen. Dabei wurde zu einer Diskussion über die Konsequenzen der Behandlung eingeladen und erste Vorschläge für ein zukünftiges, schulbasiertes Interventionsprogramm gesammelt.