Äthiopien ist eines der ärmsten Länder der Welt und zählte 2004 bereits über 3.9 Millionen Waisen. Während viele Organisationen Nahrung, Kleidung und Schulausbildung für diese Kinder bereitstellen, konzentriert sich vivo auf die psychosozialen Bedürfnisse dieser Kinder, um eine gesunde psychische Entwicklung sicherzustellen. Im Frühjahr 2006 interviewte vivo mehr als 100 Kinder in Awassa, im Süden Äthiopiens, die aufgrund von HIV/AIDS ihre Eltern verloren und zu Waisen wurden. Viele Kinder zeigen nicht nur klinisch auffällige Symptome der Trauer, sondern leiden unter der andauernden Misshandlung und Ausbeutung als Bedienstete in Pflegefamilien. Deswegen engagierte sich vivo dafür, Beratungsstrukturen für Trauma und Trauer aufzubauen und für lokale Berater, Großeltern und Pflegefamilien Workshops zu „positiver Kindererziehung“ anzubieten, um das Bewusstsein für Kindesmissbrauch und -misshandlung in der Bevölkerung zu erhöhen.
vivo eröffnete zudem ein kleines Waisenheim für acht schwerst misshandelte Kinder, um ihnen eine friedliches und liebevolles Zuhause zu bieten. Sintahyu, eine Frau aus der Lokalgemeinde, wurde zur tragenden Säule für die gesamte Struktur. Über die letzten viereinhalb Jahre hinweg engagierte sie sich in besonderem Maß als mütterliche Betreuerin. Der Erfolg dieses Projektes ist außerordentlich. Alle Kinder, die in den letzten viereinhalb Jahren im vivo-Haus lebten, haben sich in grundlegender Weise verändert. Acht ehemals schüchterne, depressive und teilweise suizidale Kindern bilden heute eine gesunde und glückliche Familie von „Schwestern und Brüdern“ und rufen ihre Betreuerin „Mummy“. Die anekdotischen Berichte der Kinder, ihre herausragenden Schulleistungen sowie ihre klinischen Diagnosen bestätigen, dass sie sich auf einem guten Weg befinden, eine normale Kindheit und Jugend zu erleben.
Ihre Vergangenheit haben die Kinder dennoch nicht einfach vergessen. Alle engagieren sich in sogenannten „Anti-AIDS-Clubs“ und Aktivitäten, die das Bewusstsein für diese Problematik steigern sollen. Beispielsweise verfassen sie Theaterstücke über ihre Erlebnisse mit familiärer Gewalt und führen diese stolz auf öffentlichen Bühnen in ihrer Gemeinde auf. Das älteste Mädchen dieses Wohnprojektes begann im Oktober 2010 in Harar mit einem Studium, fühlt sich aber dennoch eng mit ihren „Schwestern und Brüdern“ verbunden und besucht ihre diese so oft wie möglich.